EURO 2020 – sinnvoll und fair?

Wer sich mit der Kunst verheiratet, bekommt die Kritik als Schwiegermutter.~Hildegard Knef

Womit fangen wir an, wenn wir an die EURO 2020, die mit einem Jahr Verspätung stattfand, denken? Es wurde bereits ausreichend darüber gestritten und sämtliche Argumente vorgebracht, die gegen eine paneuropäische Europameisterschaft während einer weltweiten Pandemie sprechen. Daher möchte ich gar nicht mehr anführen, dass diese Veranstaltung eventuell ein Treiber der nächsten Welle sein könnte. Was wären denn die Alternativen gewesen? Die EM ganz abzusagen und sonst gar nichts. Denn auch eine Austragung in nur einem einzigen Land hätte für Reisebewegungen gesorgt. Sicherlich hätte man es so machen können, wie es im gesamten Sport seit einem knappen Jahr gemacht wird: Die Spiele hätten in leeren Stadien gespielt werden können. Das jedoch wäre ein herber finanzieller Verlust für die UEFA gewesen, so dass dies nie eine wirkliche Alternative dargestellt haben dürfte. Der Hauptgrund, dass diese wahnwitzige Idee mit allen Mitteln durchgeboxt werden musste, waren rein monetäre.

Das ließ sich schon aus der Forderung nach Teilöffnung der Stadien seitens des europäischen Fußballverbandes schließen, der andernfalls mit dem Entzug der Spiele drohte. Hier hätten sämtliche Regierungen Hand in Hand agieren und einheitlich als EU auftreten sollen, wobei dann die Nutznießer die Länder gewesen wären, die der UEFA, aber nicht der EU angehören. Aber diesen Imageverlust wollte wohl kein Staat riskieren. Da riskiert man lieber die Gesundheit der Bevölkerung – zumal, wenn es nicht die eigene ist! Dass man da jedoch die Rechnung ohne den Wirt gemacht haben könnte, weil die ausländischen Schlachtenbummler sich ja auch außerhalb der Stadien auf dem Weg von den Bahnhöfen oder Flughäfen zu den Stadien bewegen und sich vielleicht sogar noch ein wenig die jeweilige Stadt anschauen, sofern sie sich nicht in Stadionnähe in einer Kneipe sinnlos Alkohol in den Körper schütten, kam vermutlich niemandem in den Sinn. Denn selbstverständlich wurden die Kneipen geöffnet und Fan-Meilen aufgebaut, um auch hier noch Geld abschöpfen zu können.

Augen zu und durch! Das schien das Motto der EURO 2020 zu sein. Dass die UEFA beim Spiel Dänemark gegen Finnland gleich am zweiten Spieltag ein jämmerliches Bild abgab, als Christian Eriksen um sein Leben kämpfte (und Gott sei Dank gewann!) – geschenkt! Man will sich gar keine Gedanken machen, was passiert wäre, wenn man das Spiel abgebrochen hätte. Das gesamte Konzept der weiteren Spiele und des Spielplans wäre nicht zu halten gewesen. Der Kosmos musste sich weiterdrehen, wie er es auch zu Hochzeiten der Pandemie tat. Der Fußball fordert zwar offiziell nie eine Sonderstellung für sich, benimmt sich aber trotzdem immer so. Zwar war es während der Europameisterschaft schon wieder erlaubt, touristische Reisen zu unternehmen, aber bei dieser Erlaubnis dachte man bestimmt nicht gleich an Zehntausende. Aber wer will sich beschweren, wo doch jeder ein Stück des riesengroßen Kuchens abbekommt?! Und selbst die letzten Krümel wurden dankbar aufgesammelt.

War sie wirklich fair, diese EURO 2020? Wundert sich einer tatsächlich darüber, dass England ins Finale kam? Gut, bei der WM 2018 in Rußland schnitt das Team auch ganz passabel ab und wurde Vierter. Die Mannschaft gehört mit Sicherheit zur oberen Spitze, aber einfacher als für England konnte es nicht sein, ins Finale einzuziehen. England durfte sage und schreibe gleich sechs der sieben Spiele in London austragen und war damit nur ein einziges Mal Reisestrapazen ausgesetzt, während andere Teams überhaupt kein Spiel in ihrem Heimatland austragen konnten und zu jedem Spiel reisen mussten. Gleiche Voraussetzungen also Fehlanzeige!

Wäre auch etwas anderes möglich gewesen? Meinem Verständnis von Fairneß hätte es dann eher entsprochen, wenn keine Nationalmannschaft ein Heimspiel gehabt hätte. Dann hätten alle immer reisen müssen. Somit wären die Voraussetzungen wirklich für alle gleich gewesen und niemand hätte aufgrund der Zuschauer einen Heimvorteil gehabt. Ich denke hier insbesondere an die Ungarn, die schon in der Vorrunde vor fast vollem Haus spielten. Nicht, dass ich ihnen das nicht gegönnt habe, aber es war eben unfair denen gegenüber, die immer reisen mussten und kein einziges Heimspiel hatten. Ich denke da an Portugal, die ihr erstes Spiel in Budapest hatten, dann nach München mussten und zum letzten Spiel wieder in Budapest antreten mussten. Sinnvollerweise hatten sie ihr EM-Quartier gleich in der ungarischen Hauptstadt aufgeschlagen. Ein weiteres Beispiel: Frankreich. Sie wohnten in ihrem Stützpunkt Clairefontaine nahe Paris und mussten zweimal nach Budapest und einmal nach München reisen. Die Kroaten beispielsweise wohnten in Rovinj und mussten nach London und Glasgow reisen. Die Tschechen hatten die gleichen Reiseziele und kamen immer aus Prag. Österreich hatte auch nicht ein einziges Heimspiel, wohnte aber zu Hause in Seefeld. Die Reisen führten sie in der Vorrunde nach Amsterdam und Bukarest. Schweden wohnte in Göteborg und hatte die weiten Reisen nach Sevilla und Sankt Petersburg zu absolvieren. Von Chancengleichheit konnte man also überhaupt nicht sprechen.

Auf die Endergebnisse hatte im Vorfeld niemand Einfluß, aber man hätte es prognostisch schon so gestalten können, dass beispielsweise die vermeintlichen Gruppensieger im Achtelfinale nicht in ihrem Heimatland spielen hätten dürfen. Wenn es anders gekommen wäre, weil die Ergebnisse andere waren, wäre es eben so gewesen. Aber von vornherein einen Turnierplan zu erstellen, bei dem die Engländer eben nicht sechsmal im heimischen Wohnzimmer antreten durften.

Dabei drängt sich mir die Frage auf, warum gleich beide Halbfinalspiele und das Endspiel in Wembley ausgetragen wurden. Die deutsche Nationalmannschaft durfte vor dem Spiel gegen England das Abschlußtraining nicht im Wembley-Stadion absolvieren, weil man den Rasen schonen musste und wollte. Hätte man die Halbfinalspiele nicht beide nach Wembley vergeben, sondern in eine andere Stadt (und zwar jeweils eins), dann wäre das Problem schon mal beseitigt gewesen. Ich möchte jetzt nicht behaupten, dass die deutsche Nationalmannschaft deshalb gegen England verloren hat, aber war das fair?

Die paneuropäische Europameisterschaft wäre in meinen Augen wirklich fair gewesen, wenn man die Spiele an die Länder gegeben hätte, die sich gar nicht erst qualifizieren konnten. Dann hätte niemand ein Heimspiel gehabt, alle hätten reisen müssen und die Voraussetzungen wären dann für alle gleich gewesen. Aber die UEFA gibt ja immer Sicherheitsbedenken vor, um die Spiele nach Möglichkeit nur in die allergrößten Stadien zu geben. Dort passen die meisten Zuschauer rein und somit ist der Gewinn maximiert. Logischerweise wäre ein Länderspiel der EURO zwischen England und Deutschland schlecht in Gibraltar durchzuführen, aber es hätte mit Sicherheit genügend Stadien gegeben, die über die entsprechende Kapazität verfügt hätten und bei denen die Fangruppen auch getrennt zum Stadion gekommen wären.

Aber so, liebe UEFA, war die ganze EURO eine Farce, die mich jedenfalls nicht umgehauen hat. Das Gute daran: Bei der nächsten WM im kommenden Jahr kann es nur schlechter werden, wenn das Finale unmittelbar vor Weihnachten stattfindet. Aber bei der Vergabe ging es ja nicht ums Geld! Nein! Nachtigall, ick hör Dir trapsen! 2022 wird die gerade vergangene EURO 2020 dann wieder besser da stehen, weil man sie mit der WM in Katar vergleichen wird. Wobei: Da sind die Reisestrapazen bei weitem nicht so gewichtig wie bei dieser EM.

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