Gedenkstätte Sachsenhausen

Die Forderung an den Fotografen, gute Bilder zu schaffen, hat eine Kehrseite – wer schafft gute Betrachter für die Bilder?~anonym

Die Anreise zur Gedenkstätte erfolgt von Berlin aus mit der S-Bahn (Dauer: ca. eine Stunde) oder mit dem RE (Dauer: ca. 25 Minuten). Vom Bahnhof Oranienburg aus verkehren Busse des öffentlichen Nahverkehrs bis fast vor die Tür der Gedenkstätte, aber die Distanz ist mit knapp 1,5 Kilometern auch gut und schnell zu Fuß zu bewältigen: Wenn man aus dem Bahnhof kommt, hält man sich rechts, biegt an der nächsten Kreuzung nach rechts ab und an der nächsten beampelten Kreuzung nach links. Nach ca. 400 Metern kommt eine weitere Kreuzung, wo man wieder rechts abbiegt und schon läuft man genau auf die Gedenkstätte zu. Die jeweiligen Teilstücke sind geschätzt allesamt ca. 400 Meter lang. Sicherheitshalber ist der Weg logischerweise aber auch ausgeschildert.

Der Zugang zur Gedenkstätte ist kostenfrei. Man kann sich zwar einen Audioguide ausleihen, aber auf die Möglichkeit verzichtete ich. Nachdem man den Eingangsbereich verlassen hat, geht man noch ca. 300 Meter (geschätzt), ehe man den Haupteingang des ehemaligen Konzentrationslagers erreicht. Auf dem Weg dorthin kann man schön beobachten, wie Jugendliche, die augenscheinlich überhaupt keine Ahnung haben, wo sie sich befinden, herumalbern und teilweise doch recht laut unterwegs sind. Die sie begleitenden Lehrer bzw. Aufsichtspersonen waren stellenweise gar nicht zu sehen, denn die Gruppe hatte sich wohl zu weit auseinandergezogen, Erinnerungen an die eigene Schulzeit werden unweigerlich wach, denn wie oft ging es uns seinerzeit ebenfalls so. Die Lehrer wollten uns etwas geschichtlich Bedeutsames zeigen, worauf wir überhaupt keine Lust hatten. Dementsprechend unsensibel und uninteressiert bewegten wir uns durch die historischen Orte. Dabei war es egal, um was es sich handelte, was wir uns unbedingt anschauen sollten. Uns interessierte nur die gemeinsame Zeit mit unseren Freunden und von daher blödelten wir auch das ein oder andere Mal herum, wenn es wohl nicht angebracht war. Die Lehrer schienen oftmals überfordert oder gar resigniert und ließen uns gewähren.

Vereinzelt stehen Besuchergruppen am Rand, die einer Erklärung lauschen, denn geführte Touren kann man in der Gedenkstätte ebenfalls buchen. Mein Weg führte mich mitsamt des Stroms der uninteressierten Menschen, die später einmal unsere Rente zahlen sollen, in Richtung des ehemaligen Haupteingangs. Dort erwartet einen ein Tor, das man durchschreiten muß. Dabei kann man die allseits bekannten Worte „Arbeit macht frei“ lesen, die einem ob der abscheulichen Taten, die man damit assoziiert, einen Schauer über den Rücken laufen lassen, was wohl auch daran liegen mag, daß man hinter dem Tor bereits einen Teil des Areals sehen kann, dessen Ausmaße sich einem erst erschließen, wenn man das Tor hinter sich gelassen hat.

Einige der früheren Gebäude stehen noch und an der Stelle, wo sich früher einmal die anderen Baracken befanden, hat man eine metallene Einfassung auf dem Boden eingebracht und den Boden darin mit grauen Steinen befüllt. So hat man während der gesamten Zeit auf dem Gelände immer eine Vorstellung davon, wo und wie die Gebäude angeordnet waren, erkennt aber aufgrund deren Fehlens sehr gut die Größe des ehemaligen Konzentrationslagers. Auf dem Gelände kann man sich völlig frei bewegen, was die ehemaligen Insassen nicht durften. Und während man so die Wege entlang schlendert, werden diese Gedanken tatsächlich immer stärker. Und je länger man sich dort aufhält, umso unfaßbarer wird das Geschehene, das man ein Stück weit tatsächlich „greifen“ kann. Diverse Infotafeln und begehbare Baracken sorgen mit dafür.

Wenn da nur nicht die ganzen Jugendlichen wären, denen die historische Bedeutung dieses Ortes scheinbar immer noch vollkommen unbekannt zu sein scheint. Sie begegnen einem immer wieder auf den Wegen und albern weiterhin rum, wobei – das muß man schon sagen – die Geräuschkulisse doch schon ein wenig ruhiger geworden ist. Einige Unverbesserliche schubsen aber immer noch ihre Kumpel durch die Gegend und machen alberne Selfies. Wahrscheinlich sind das die Coolen oder die, die sich dafür halten. Vielleicht – und das ist die meiner Meinung nach wahrscheinlichste Möglichkeit – fehlt ihnen aber auch nur der Weitblick, um zu erfassen, wo sie sich gerade befinden. Gleiches gilt auch für Besucher, die der Sprache nach zu urteilen aus dem osteuropäischen Raum kommen. Auch sie schreien förmlich auf dem Gelände herum.

Diese Umgebungsgeräusche stören mich zwar, aber ändern kann ich es auch nicht. Spätestens als ich am Mahnmal für die Ermordeten des Konzentrationslagers ankomme, das sich direkt am Standort des ehemaligen Krematoriums befindet, wird es merklich ruhiger. Dieses Mahnmal ist ummauert, aber oben offen. Lediglich der Randbereich der Ummauerung, wo sich die Mauern der ehemaligen Öfen befinden, ist überdacht. An der Stirnseite befindet sich ein Denkmal, das zwei Personen zeigt, die eine dritte wegtragen. Die davor stehende Gruppe aus ungefähr zwanzig Jugendlichen lauscht den englischen Erklärungen des Guides. Und mit zunehmender Dauer werden die Jugendlichen immer leiser, bis niemand mehr spricht. „What do you think are they doing? Do they want to help him? How do they look? Funny? Angry? Sad? I will explain you! They are carrying the dead body of their comrad to the oven!” Und zack! Schon verstummen alle.

Am nördlichen Ende des ehemaligen Konzentrationslagers schließt sich das Gelände des ehemaligen sowjetischen Speziallagers an, in dem damals viele Verhaftete in Baracken eingepfercht wurden. Die Fenster wurden mit Brettern vernagelt und im Inneren hatten die Gefangenen nur schmale Holzbohlen, um darauf zu nächtigen. Es waren aber mehr Gefangene als Holzbohlen in den einzelnen Baracken untergebracht, so daß sie sich teilweise mit mehreren zusammen einen Liegeplatz teilen mußten und teilten. Etwas, das als Unterlage hätte dienen können, hatten sie nicht und eine Zudeckmöglichkeit gab es ebenfalls nur sehr spärlich. Auch hier teilten sich mehrere Personen oftmals einen warmen Mantel oder eine Wolldecke. Aufgrund dieser Zustände kam es häufig zu Todesfällen unter Gefangenen, die schlicht und einfach erfroren. Die Leichen wurden dann auf Lkw geworfen und irgendwo verscharrt. Im Inneren einer solchen Baracke wird dieses Leben bzw. Dahinvegetieren von Überlebenden auf einem in Endlosschleife laufenden Video erzählt. Da man sich dabei in einem Raum der kleinen Baracke befindet, deren Fenster genauso durch Platten abgedunkelt sind, hat man ein beklemmendes Gefühl. Die Erzählungen tun ihr Übriges dazu.

Auf dem Rückweg über die Wege der Gedenkstätte denke ich die ganze Zeit daran, ob es wirklich so schlimm ist, daß die Jugendlichen sich so benehmen, wie sie es tun. Zeugt das nicht davon, daß sie so rein gar nichts mehr damit zu tun haben, was drei oder vier Generationen vor ihnen in ihrem Land passiert ist. Ist diese Unbekümmertheit vielleicht genau deshalb gar nicht so schlecht. Ähnlich erging es mir einmal bei einem meiner Besuche an Ground Zero in New York City, als ich mich auch gedanklich ein wenig darüber echauffierte, daß dort lachende Kinder umherliefen, die augenscheinlich Nachlaufen spielten, oder Jugendliche Selfies vor den Wasserfällen machten. Warum taten sie das? Ganz einfach: Sie konnten mit dem, was sie sahen, überhaupt nichts anfangen und assoziierten damit auch nichts, weil sie zu der Zeit noch nicht geboren waren und die Geschehnisse nicht live vor dem Fernsehschirm verfolgten. Und so ist es auf dem Gelände der Gedenkstätte Sachsenhausen doch auch, oder? Selbstredend war auch ich noch nicht geboren, als die Greueltaten während des NS-Regimes passierten, aber im weiteren Verlauf meines Lebens begann ich dann doch, mich dafür zu interessieren. Eventuell geht es dem ein oder anderen, der hier und heute herumalbert, in den nächsten Jahren ebenso. Und dann ist seine Unsicherheit in bezug auf die deutsche Geschichte gewichen und er wird vielleicht noch einmal hierhin zurückkehren und sich dann ebenfalls über die dann nachrückende Generation aufregen, wie sie sich benehmen.

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